hl. Franziskus


von Melanie Eicker

Durch Zufall (bei der Recherche für eine wissenschaftliche Arbeit) fiel mir in der Bibliothek des philosophischen Seminar ein Manuskript in die Hände. Es ist nur in Auszügen erhalten und stellt eine Abschrift einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert dar. Obwohl es eine fast nicht zu überschauende Menge von Lebensbeschreibungen des Heiligen Bruders Franziskus aus Assisi in der Literatur gibt, faszinierte mich dieses fragmentale Werk dennoch. Ich gebe sie in exakt dergleichen Form wieder, wie ich sie vorfand und überlasse es dem Leser sie in ihrem Wert (und sei sie noch so privater Natur) zu beurteilen.


"Ich, der Schreiber dieser Zeilen, bin ergraut an Lebensjahren und in baldiger Erwartung hineintauchen zu können in die Unendlichkeit der Gottheit und allen Seins, hebe ich mich nun an, diesem Pergament Dinge anzuvertrauen, auf dass sie aus dem Gefängnis meines Gedächtnisses auf dem Papier sichtbar für alle erscheinen mögen und so Zeugnis bilden, wenn die nach mir kommende Leserschaft von jenem Manne erfährt, der für mich und so viele andere Tausende ein strahlender Glanz, ein hoffnungsvolles Vorbild für ein wahrhaftig gelebtes Evangelium war und ist: ein Heiliger, St. Francesco, St. Franziskus von Assisi.

Gebe Gott, dass meine Hand nicht zittert und mir nicht der Blick in die Erinnerung getrübt wird, während ich meinen Gedanken Buchstaben verleihe, denn durch Francesco erlebte ich Dinge, die es wahrhaftig wert sind, dem Gedenken der Nachwelt überliefert zu werden, wie ich es nun tun will.

Als ich Francesco das erste Mal begegnete, im Jahre des Herrn 1208, war er ein erwachsener Mann von 26 Jahren. Er hatte eine Zeit des Wandels, des Zweifelns und der Zerwürfnisse hinter sich, mit einem Leben, wie es ihm von seinem Elternhaus bestimmt war, abgeschlossen, um ein gänzlich anderes Leben zu führen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, er war ein anderer Mensch geworden als der, der aus dem Hause des Kaufmanns Bernardone in die Welt zog. Doch um der Verständlichkeit willen und um dem Anspruch, das Leben des St. Franziskus dem geneigten Leser umfassend und klar darzustellen, Genüge zu tun, sei in knappen Worten Francescos Jugend geschildert.

Anno Domini 1182 wird in der Unterstadt im umbrischen Assisi den reichen Kaufmannsleuten Pica und Pietro Bernardone ihr erstgeborener Sohn geschenkt. Getauft wird er auf den Namen Giovanni Bernardone, doch schon bald ruft man ihn „Francesco“, was sowohl an die Bezeichnung für kostbaren französischen Stoff erinnert, wie auch an Reichtum und Glanz. „Französisch“ ist ein Prädikat für ein adliges, edles Leben, für höfische Kultur und hohe politische Kreise. Der Sprössling des reichsten Kaufmanns in Assisi sollte ein Leben in edler Gesellschaft führen und ein vollwertiges Mitglied des aufstrebenden bürgerlichen „Neuadels“ der Umbrierstadt sein. Francesco erhält in der Pfarrschule von San Giorgio seine Schulausbildung.

Mit vierzehn Jahren tritt der nun Volljährige in die Zunft seines Vaters ein und muss zugleich dem Adel Assisis und dem Landesherrn, dem deutschen Grafen Konrad I. die Herrendienstpflicht schwören. Francesco bewährt sich in seiner ihm zugedachten Profession und entwickelt sich bald zu einem gewandten Großkaufmann. Doch mit der gleichen Leidenschaft, mit der er sich in seinem Geschäftsleben auszeichnet, kostet er auch seine Freizeit aus. Er ist der Süße und den Verlockungen des sinnlichen Lebens nicht abgeneigt, wie auch einige enge Vertraute, die (wie auch der Schreiber dieser Zeilen) Francesco Jahre später zur Seite staehen, berichten:“ Dem Spiel und Sang ergeben, durchzog er bei Tag und Nacht die Stadt Assisi. Dabei war er so freigiebig, dass er alles, was er verdienen konnte, für Gastmähler und andere Dinge verbrauchte“. Diese Ars vivendi kommt den Eltern Bernardone nicht ungelegen: drückt doch Großzügigkeit und elegantes Äußeres eine Zugehörigkeit zu den oberen Schichten der Stadt aus. Ihr lebensfroher und verschwenderische Sohn wird Mitglied in der „Gemeinschaft der Tänzer“, eine Vereinigung, die im Lauf des Jahres weltliche und religiöse Tänze zur Aufführung bringt. ( Hier zeigt sich bereits ein Wesenszug, der Francesco auch als Ordensbruder Francesco auszeichnen wird: sein Sprechen wird ein Sprechen durch den Körper sein, er ist der Gaukler und Tänzer, der auch zu seinen Predigten tanzt)

In die unbeschwerten Jugendjahre fallen erste Schatten. Der ehrgeizige Francesco träumt von einer großen, reichen Zukunft, in kühnen Visionen reitet Giovanni, Francesco Bernadone als Ritter an der Seite des Kaisers und kämpft auf Schlachtfeldern für Ruhm und Ehre. Durch den Eintritt in den Ritterstand würde sich die kulturelle Eleganz des entmachteten Adels mit dem Reichtum der Familie zu einer glanzvollen Synthesis verbinden. Um aber die Ritterehre erlangen zu können, muss sich der junge Umbrier in einer kriegerischen Auseinandersetzung bewähren. Die Gelegenheit scheint da, als im Herbst 1202 eine Städtefehde zwischen Assisi und Perugia entbrennt. Doch Assisi unterliegt in diesem blutigem Kampf. Francesco wird in perugische Gefangenschaft genommen. Über ein Jahr währt seine Kerkerschaft, bis er endlich im Elften Monat des Jahres 1203 wieder in seiner Heimatstadt zurückkehren darf.

Diese Monate der Dunkelheit und des Zusammengepferchtseins hinterlassen auf seiner Seele die ersten Anzeichen der Trübsal, der Melancholie, die später zu seinen Selbstzweifeln und Krise führen werden, aus der ein gewandelter Francesco hervorgehen wird. (Doch ich greife voraus und zeige mich als geschwätziger Greis).

Francesco erholt sich allmählich von diesen schrecklichen Erlebnissen, wenn auch sein Leben für ihn seinen sprühenden und schimmernden Glanz verloren hat. Einige Monate später bekommt er Kunde von einem von einem Feldzug im Auftrag des Papstes, der gegen die Anarchie im unruhigen Süden Italiens gerichtet ist. Der junge Ritter in spe will sich diesem Krieg anschließen. Doch nach zwei Tagesritten wird Francesco in einer unruhigen Nacht von Selbstzweifeln und dunklen Visionen geplagt. Eine innere Stimme soll ihn gefragt haben, warum er Knechten hinterherlaufe und nicht dem Herrn selbst diene. Zurück in Assisi lebt Francesco sein gewohntes Leben weiter, aber die Zweifel und eine zunehmende Sehnsucht, für die er noch keinen Namen findet, lassen ihn nicht mehr los. Kirchliche, sakrale Antworten gibt es für ihn zunächst nicht, denn der Gott der Romanik ist ein ferner, unpersönlicher Gott, der hoch über Kirchportalen schwebt, der ein allgewaltiger Weltenherrscher ist, aber nicht in die Herzen der Bürger findet. Und doch: Francescos Suche lässt ihn ahnen, dass er eine Antwort finden muss, die ihm kein Mensch geben kann, weil sie nur von Gott kommen wird.

Aus dieser Suche-Zeit stammt auch das folgende Gebet, das Francesco über Monate begleiten wird:

Altisssimo glorioso Dio
Illumina le tenebre de lo core mio
Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die Finsternis in meinem Herzen:
gib mir einen Glauben, der weiterführt,
eine Hoffnung, die durch alles trägt,
und eine Liebe, die nichts ausschließt.
Lass mich spüren, wer du, Herr, bist,
und erkennen, wie ich deinen Auftrag erfülle.

Oh, finstere Jahre des Wandelns, düstere Zeit des Suchens! Wer kennt nicht jenen Zustand, bei dem sich eine Hilflosigkeit und Unsicherheit über die heimatlose Seele zu wölben scheint und den Fragenden einhüllt in eine Finsternis? Alle Werte scheinen fragwürdig, die Ziele, bislang noch goldene Sterne am Zukunftshorizont, verblassen und lösen sich auf wie der Sonnenstrahl versiegt, wenn dunkle Wolken sich vor den Fixstern schieben und an die Stelle, wo vormals noch Schatten und Licht ein lustiges Spiel für das Betrachterauge spielten rückt, nun eine trübe, graue Einheit. Francesco wird vom gefeierten Tanzkönig, vom umjubelten Sprössling der angesehenen Kaufmannsfamilie aus Assisi zum Sonderling, zum Anstoß des Ärgers und des Unwillens. Dabei zeigt er schon jenen Mut, jene Fähigkeit, sich über die Gepflogenheiten seines Standes hinwegzusetzen, wenn er von einer Sache überzeugt ist (beziehungsweise in diesem Falle überzeugt, dass diese Sache nicht die seine ist), die ihm in den folgenden Jahren als Bruder und Prediger des Einen Evangeliums zu Nutzen sein wird. Im Jahre 1205 bei der jährlichen Rom-Wallfahrt der Familie und der Freunde, kommt es in der Peterskirche zu einem Eklat. Bettler am Portal der Basilika werden von den höchsten und reichsten Söhnen und Töchtern der Stadt nur mit kleinsten Kupfermünzen bedacht. Francesco ereifert sich so in seinem Ärger über diesen Geiz und diese unritterliche Hartherzigkeit, dass er sein gesamtes Reisegeld laut klirrend zum Grab des Apostel Petrus hinunterwirft. Und, so wahr ich der Schreiber dieser Zeilen bin, und mich als einen treuen Gefährten des San Francesco bezeichnen darf, er tauschte seine Kleider mit einem Bettler und setzte sich in Lumpen zu den Armen, um auf französisch unerkannt zu betteln.

Ich versuche, das Geschehene so niederzuschreiben, wie man es mir berichtet hat (und nicht zuletzt war es der Heilige selbst, der mir die Ereignisse erhellte). Francescos Leben erfährt einen deutlichen Bruch – oder eher einen Wendepunkt - durch seine Begegnung mit einem Aussätzigen. Aussätzig sein oder Leprakrank sein - das ist ein Todesurteil, sowohl in physischer als auch in sozialer Hinsicht. Die Leprakranken sind wörtlich zum Tode verurteilt, denn nachdem die Diagnose durch einen Medicus gestellt ist, findet, in ihrem Beisein eine Beerdigungszeremonie statt, auf der sie aus der Stadt verabschiedet werden.

Als Francesco im Winter 1205/1206 bei einem Ritt in der Ebene unverhofft auf einen so gezeichneten Leprösen trifft und die Art des Weges keinerlei Ausweichen zulässt, kommt es zu seiner ersten direkten und menschlichen Begegnung mit einem Aussätzigen. Folgendes haben einige seiner Gefährten darüber berichtet: "Während er sonst gewohnt war, vor Aussätzigen großen Abscheu zu haben, überwand er sich, stieg vom Pferd, reichte dem Aussätzigen ein Geldstück und küsste ihm die Hand. [...] Wenige Tage später nahm er eine große Summe Geldes und begab sich zum Aussätzigenhospital. Als er wegging, war ihm die bittere Erfahrung, Aussätzige zu sehen, in innerste Freude verwandelt. [...]Gott fügte es, dass er ein Vertrauter und Freund der Aussätzigen wurde, so sehr, dass er später unter ihnen lebte und ihnen in aller Schlichtheit diente."

Diese intensive und persönliche Erfahrung prägt sich in die Seele Francescos ein. Er sucht Orte der Einsamkeit auf, um sich den Fragen und Gedanken seiner Sinnsuche und der Suche nach seiner Beziehung zu Gott widmen zu können. Wenige Wochen folgen auf das Lepra-Geschehnis, da hat er erneut ein Erlebnis von spiritueller Kraft: Er begibt sich in die kleine Kirche San Damiano, eine kleine Landkirche. Als er im Halbdunkel zu dem Höchsten betet, macht er eine tief mystische Erfahrung: Sein Blick fällt auf ein kleines Ikonenkreuz, das Christus nicht als den glorreichen Herren in kaiserlicher Majestät auf einem goldenen Thron weilend abbildet, sondern in nackter Gestalt am Kreuz. Der Höchste zeigt sich schlicht und in verachteter Armut. Und da fühlt sich Francesco durch den Herrn berührt, nicht der Weltherrscher, sondern der Freund der Kleinen umarmt ihn im Geiste, wie er es vorher mit den Leprösen getan hatte, auch wird berichtet: Eine Stimme vom Kreuz habe dem Kaufmann aufgetragen, die zerfallene Kirche wieder aufzubauen). Nun kann es für Francesco kein Zurück mehr geben als Francesco Bernarndone: In eine Familie, die ihren Reichtum durch teuren französischen Stoff offen zu Schau trägt und Gewinne auf Kosten ihrer Untergeben anhäuft, kann ein Mann, der diese Erfahrungen gemacht hat und die Nähe Gotte gespürt hat, nicht zurück. Francesco will sein Vermögen für den Erhalt der San Damiano Kirche ausgeben.

Doch nun möge Gott mir meinen Blick erhellen, auf dass ich das Geschehene wahrhaftig und klar schildern kann, ganz so, wie es sich zugetragen hat: Francesco kehrt nach Assisi zurück und wird dort als Verrückter beschimpft, mit Fäkalien beschmissen oder mit Steinen. Sein Vater schleppt ihn in sein Haus und sperrt ihn einige Tage in einen Keller ein, um ihm mit Gewalt und Worten umzustimmen. Als dies keine Wirkung zeigt, klagt ihn Francescos Vater beim Bischof an. Bischof Guido I. zeigt in einer öffentlichen Gerichtssitzung großes Verständnis für den Sohn.

E rät ihm aber, das Geld seinem Vater zurückzugeben. Seine Wut würde sich legen, sobald er es zurückerhält. Daraufhin setzt Francesco ein bedeutsames aber radikales Zeichen: Er zieht seine Kleider aus, tritt nackt vor den Bischof und spricht: „ Bis jetzt habe ich Pietro Bernardone meinen Vater genannt. Weil ich mich nun aber in den Dienst Gottes stelle, gebe ich jenem alles zurück, was ich aus seiner Habe besessen habe. Von nun an werde ich sagen: Vater unser im Himmel – nicht mehr Vater Pietro di Bernardone.“ Francesco zieht sich zurück und verbringt die folgenden zwei Jahre als Einsiedler. Diese Phase des Eremitendaseins ist durchdrungen von der radikalen Ausrichtung auf Gott und von dem Aufbau des kleinen Kirchleins San Damiano. Nun komme ich auf das Jahr anno Domini 1208 zu sprechen, das Jahr, in dem ich Bruder Francesco zum ersten Mal begegnete (gelobt sei der Herr!) Francesco widerfährt einige Monate vor unserer Begegnung ein weiteres wichtiges spirituelles Erlebnis während einer Messfeier. Das Evangelium handelt von dem Sendungsauftrag Jesu an die Apostel. Während er dies hört, wird Francesco von einer Erkenntnis ergriffen: auch sein Auftrag soll es sein, mit leeren Händen die gute Botschaft in die Städte und Häuser zu bringen, Menschen aus ihren Nöten zu befreien und Frieden zu bringen. Er hat für sich das vita evangelii entdeckt, die Wichtigkeit, das Evangelium zu leben. Erfüllt von diesem Auftrag kehrt er als Bußprediger in die Stadt Assisi zurück. „Seine Worte berührten, von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt, die Zuhörenden im Tiefsten, seine Verkündigung suchte allerorts den Frieden.“ Und auch ich wurde dort in Assisi von der spirituellen Kraft seiner Worte, aber auch von dem Charisma seiner ganzen ansteckenden Persönlichkeit ergriffen und beschloss, zusammen mit anderen Gefährten, Francesco nunmehr als Mitbruder Weggefährte und Freund zur Seite zu stehen. Wir nannten uns Minderbrüder, was auf die leeren Hände anspielt, mit denen wir in die Welt hinausgingen. Und unsere Gemeinschaft sollte noch wachsen und viele Tausend Anhänger über den ganzen Erdenball verstreut finde, über die Jahre und Jahrzehnte, die vergangen sind, bis zu diesem Zeitpunkt, da ich als greiser Bruder dem Pergament meine Erinnerungen einpräge.

Wenn ich nun beim geneigten Leser durch den Gang meiner Niederschrift den Eindruck erweckt haben sollte, Bruder San Francesco sei ein melancholischer, ernster, zorniger Rebell gewesen und nichts weiter, so möge mir Gott mein Unvermögen verzeihen und mir die Kraft der rechten Wortwahl verleihen! Gewiss, Bruder Francesco war ein Rebell, aber er war doch noch viel mehr ein lebensfroher, sinnbetonter eindrucksvoller Mensch, dem die Gnade der Überzeugung verliehen war. Er war eine leidenschaftliche Person, die so von dem Lobpreis Gottes angefüllt sein konnte, dass er beim Predigen lachend und tanzend durch die Straßen zog! Evangelieum=frohe Botschaft, dies wollte er zu den Menschen bringen. Über Francesco wurde einst mit vorwurfsvoller Stimme gesagt:“ Ein Gaukler, der beim Predigen hüpfte und gestikulierte wie ein Komödiant, dessen ganzer Körper eine Zunge war. Der die Geizigen zur Verwirrung brachte, indem er ihnen Goldmünzen in die Hand legte, der sich als Vagabund verkleidete, um die gefräßigen Brüder zu verwirren, der mit Tieren und Pflanzen sprach und der das Lamm Betlehems anrief, indem er blökte wie ein Schaf!“ Doch so lehrte Francesco das Volk, die Dinge von einer anderen Seite zu sehen – denn der Teufel ist die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals vom Zweifel erfasst wird, so formulierte es ein Mitbruder einmal in francescanischem Sinn. Mit allen Naturgeschöpfen verband sich Francesco zum gemeinsamen Gotteslob – für ihn sprach durch die Dinge der Urheber der Dinge selbst. Vieles hat San Francesco der Nachwelt hinterlassen, sein ganzes Leben ist Zeugnis der Einen Botschaft. Auch viele vom Geist durchdrungenen Gebete sind durch die unermüdlichen Tätigkeiten der Kopisten unseres Ordens erhalten. Eines der schönsten Gebete, das vielleicht Schönste Lied unseres Bruders San Francesco ist aber sicherlich der Sonnengesang, im Jahre des Herrn 1224 in San Damiano entstanden. (Oh, welch göttliche Gnade hat ihm die Feder geführt, da er dies schrieb!)

Es ist ein Schöpfungslied und von dichterischem Wert. Die Schöpfung steht als Ganzheit: sieben Geschöpfe werden im Lob vereinigt: Drei für die Welt über uns (Sonne Mond und Sterne), durch sie sind die Rhythmen für Tag und nacht, Hell und Dunkel mit besungen, vier für die irdische Welt (die vier Urelemente Wasser, Luft, Feuer, Erde, darauf aufbauend die vier Jahreszeiten) Sieben ist eine gute, eine heilige Zahl.

Alle Wesen bilden eine große kosmische Familie (Bruder, Schwester, Mutter).Der Sonnengesang unseres Bruder Francesco ist ein universaler Lobgesang, den eine geschwisterliche Welt auf den Schöpfer singt.

Altissima omnipotente bon signore
Tue so le laude la gloria e l`honore et onne benedictione
Höchster, allmächtiger guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen"


Hier bricht das Manuskript ab. Genauer gesagt, die Abrisse eines Manuskripts, denn vollständig ist es nie gewesen. Nach meinem Dafürhalten ist es eine Abschrift aus einer Handschrift aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert, dessen Verfasser wahrscheinlich Bernado da Quintavalle gewesen ist oder Pietro Cattani, zwei der ersten beglaubigten Gefährten des Francesco von Assisi.


Franziskus-Bedeutung damals und heute

Francesco, Franziskus, ein Name, der auch noch heute große Bedeutung hat. Der Bettelorden des Franziskus wurde 1223 von Papst Honorius III. anerkannt, bereits zwei Jahre nach seinem Tod, wurde Franziskus von Papst Gregor IX. heilig gesprochen. Sein Grab befindet sich in der von Elias von Cortona erbauten Kirche San Francesco in Assisi.

Der Orden des Franziskus hat sich über die Jahrhunderte in mehrere Ordensgemeinschaften entwickelt.

Warum war und ist diese Person des Heiligen von so großer Anziehungskraft? Die Menschen des Mittelalters dürfte seine Biographie fasziniert haben:

da entsagt ein Angehöriger eines hohen sozialen und ökonomischen Standes allen weltlichen Vorzügen und bricht mit den gesellschaftlichen Regeln seiner Zeit, begehrt auf, und findet Gleichgesinnte.
Diese radikale Hinwendung zum Leben Christi und zur Entsagung allen weltlichen Gütern war in der Zeit des 13. Jahrhunderts eine nicht nur von Franziskus betriebene Form, gegen die stigmatisierenden Konventionen des höfischen oder adligen Lebens einen eigenen, individuellen Lebensentwurf (soweit man im Mittelalter von gelebter Individualität sprechen kann) zu setzen.

Doch warum fasziniert Franziskus uns Menschen heute? Er ist durch sein Lebenswerk, seine Biographie, seine überlieferten Gebete und Lieder, aber auch durch das Zeugnis seiner Mitbrüder ein Beispiel für ein gelebtes Evangelium. Er verkörpert Nächstenliebe, Mitgefühl, Ehrfurcht vor der Natur und allen Geschöpfen. Er lebte eine geschwisterliche Welt vor. Durch seine Entscheidung, ökonomischen Dingen zu entsagen und ganz in der Armut Christi zu leben, lebte er wahrhaftig in der Nachfolge Christi. Das erforderte Mut. (Auch im 13. Jahrhundert, wo der Caritasgedanke, also die Mildtätigkeit, ein anderer war als heute). Doch genau deswegen ist er zeichenhaft – und vorbildlich.

Deswegen gilt er als Patron vieler Kirchengemeinden, deswegen ist er aber auch der Schutzpatron der "Jüngsten-Abteilung" der Pfadfinderschaft St. Georg, den Wölflingen. Er war ein charismatischer, leidenschaftlicher und fröhlicher Mensch, der sich für und mit anderen eingesetzt hat und der die Geschöpfe der Natur wirklich geliebt hat. Weil er sich mit ihnen verband und dadurch Gottes Schöpfung lobte. Er sprach es nicht nur aus, er fühlte es auch.

Er fasziniert weil er uns lehrt wie wir, ganz dem Pfadfinderischen Motto des Robert Baden Powell gemäß "die Welt ein bisschen besser zurücklassen, wie wir sie vorgefunden haben".

Melanie Eicker